11/2022_AG_Energieautarke Mehrfamilienhäuser als Wegbereiter der Energiewende

Lehrte, März 2022 (PRG) – Bis 2045, so das Ziel der Bundesregierung, soll der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral sein. Mit ihrem intelligenten Energieautarkie-Konzept zeigt die HELMA Eigenheimbau AG bereits heute, wie die regenerative Zukunft des Wohnens aussieht. Im Interview erläutert André Müller, technischer Vorstand der Helma Eigenheimbau AG, warum das Konzept für Mieter, Vermieter und die Umwelt gleichermaßen ein Gewinn ist.

Herr Müller, HELMA baut seit 2017 energieautarke Mehrfamilienhäuser. Angesichts explodierender Energiepreise können Sie sich vermutlich vor Nachfragen kaum retten?

André Müller (lacht): Je stärker die Energiepreise steigen, desto häufiger klingelt bei uns das Telefon. Die nach Corona wieder anspringende Konjunktur, die Einführung der CO2-Bepreisung sowie der Ukraine-Krieg haben die Preise für Öl, Gas, Strom, Benzin und Diesel auf immer höhere Rekordwerte getrieben. Laut Angaben der Tagesschau sind die Energiekosten eines vierköpfigen Musterhaushalts innerhalb eines Jahres von 4043 Euro 7292 Euro gestiegen. Das entspricht einem ein Plus von sage und schreibe 80 Prozent. Und ein Ende der Preisspirale ist nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund sind energieautarke Mehrfamilienhäuser, die ihren Strom- und Wärmebedarf weitestgehend selbst decken, ein attraktives Modell.

Wie funktioniert die autarke Energieversorgung genau?

André Müller: Dach und Fassade werden mit großflächigen Photovoltaikmodulen und Solarkollektoren ausgestattet, die unter idealen Wetterbedingungen mehr Energie erzeugen als die Bewohner verbrauchen. Überschüssige Wärme wird in Langzeitwärmespeichern gespeichert. Sie liefern ganzjährig Warmwasser zum Duschen, Heizen, Geschirrspülen oder Wäschewaschen. Strom, der den aktuellen Bedarf übersteigt, wird in Akkus zwischengespeichert und speist die Elektroladesäulen auf den Parkplätzen.

Die Mieter profitieren von einer Energie-Flatrate. Was heißt das konkret?

André Müller: Wer in einem energieautarken Mehrfamilienhaus wohnt, zahlt eine über mehrere Jahre garantierte Pauschalmiete, in der neben den Betriebs- und Heizkosten auch der Stromverbrauch inklusive ist. In Cottbus, wo wir zwei energieautarke Mehrfamilienhäuser für die eG Wohnen gebaut haben, liegt der All-inklusiv-Mietpreis bei 10,50 Euro pro Quadratmeter. Ein Angebot, das in Zeiten stetig steigender Mieten äußerst fair kalkuliert ist und vor der gefürchteten „zweiten Miete“ durch die Nebenkosten schützt. Mieter, die ihr Elektroauto mit dem Solarstrom aus der hauseigenen Ladesäule aufladen, tanken quasi zum Nulltarif und reduzieren damit ihre Mobilitätskosten auf ein Minimum.

Worin besteht der Vorteil für Wohnungsbaugesellschaften?

André Müller: Wohnungsbaugesellschaften profitieren von langfristigen Mietverhältnissen mit stabilen Erträgen, einem ökologischen Image sowie deutlich weniger Verwaltungsaufwand. Denn wo eine Pauschalmiete alles regelt, sind keine Strom- und Heizungszähler mehr nötig. Damit entfallen Messdienstleistungen ebenso wie die sonst übliche jährliche Betriebskostenabrechnung. Zudem eröffnet das regenerative Energiekonzept zusätzliche Einnahmepotenziale. Energieüberschüsse, die die Kapazität der eigenen Langzeitspeicher überschreiten, können ins öffentliche Netz eingespeist oder an benachbarte Gebäude abgegeben werden.

Warum ist das Energieautarkie-Konzept auch für Energieversorger attraktiv?

André Müller: Auch für Strom- und Wärmeanbieter könnten sich energieautarke Gebäude zu einem attraktiven neuen Geschäftsfeld entwickeln. Ähnlich wie beim Contracting-Modell fungieren Energieversorger hier als Dienstleister für Planung, Installation, Betrieb und Wartung der gesamten Photovoltaik-, Solar- und Speichertechnik. Der Vermieter zahlt dafür eine Pauschale und verpflichtet sich, eine bestimmte Energiemenge zuzukaufen. Da die Häuser ihren Wärme- und Strombedarf nur zu 60-80 Prozent selbst decken, müssen die restlichen 20-40 Prozent aus dem Netz des Energieversorgers bezogen werden.

Unter welchen Voraussetzungen funktioniert Ihr Energieautarkie-Konzept am besten?

André Müller: Besonders wirtschaftlich ist das Konzept bei vier bis sechs Geschossen, weil das Verhältnis von Energieeintrag und -nutzung dann optimal ist. Die eingesetzten technischen Komponenten haben sich ebenso bewährt die monolithische Bauweise aus hochwärmedämmendem Ziegelmauerwerk. Der einzig limitierende Faktor ist das Grundstück, das je nach Ausrichtung und Verschattung die Energieausbeute bestimmt.

In Ihren aktuellen Projekten setzen Sie neben Energieautarkie auch auf eine Enttechnisierung. Was bedeutet das konkret?

André Müller: Statt der bislang eingesetzten wassergeführten Heizungstechnik aus Solarthermie, Langzeitwärmespeicher und Fußbodenheizung setzen wir in unseren Projekten in Lübben, Unna und Magdeburg auf eine Kombination aus Photovoltaik und elektrischen Infrarotheizungen. Diese erwärmen nicht die Luft, sondern die Wandoberflächen. Die thermische Speichermasse der Ziegelwände macht den Baukörper zum Wärmespeicher und sorgt damit für einen geringeren Heizenergiebedarf.

Was ist der Vorteil des LowTech-Ansatzes?

André Müller: Unser LowTech-Konzept wirkt als dreifache Kostenbremse, denn es senkt die Bau-, Betriebs- und Wartungskosten gleichermaßen. Beim Neubau ist die Gebäudetechnik der Kostentreiber Nummer eins. Je weniger Hightech verbaut ist, desto niedriger die Baukosten. Bei den warmen Betriebskosten machen Heizung und Warmwasser normalerweise rund 40 bis 50 Prozent aus. Bei uns sind sie Teil der Pauschalmiete. Zudem bedeutet ein Verzicht auf unnötige Technik weniger Wartungs- und Reparaturkosten und spart somit die sogenannte „dritte Miete“ ein.

Ist Ihr Konzept der Energieautarkie ein Zukunftsmodell für den Wohnungsbau?

André Müller: Absolut, denn die ambitionierten Klimaziele im Gebäudesektor sind nur erreichbar, wenn die Maßnahmen von Mietern und Bauherren gleichermaßen akzeptiert werden. Energieautarke Gebäude sind nicht nur technisch durchdacht, sondern vor allem auch wirtschaftlich überzeugend. Unser Konzept zeigt, wie man Ökologie, Ökonomie, soziale Gerechtigkeit und Komfort miteinander in Einklang bringen kann. Die starke Nachfrage zeigt deutlich, dass energieautarken Gebäuden die Zukunft gehört.

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