03/2020_AG_„Eigentümer und Nutzer profitieren gleichermaßen“

Foto: Helma Eigenheimbau AG / Claudius Pflug

Lehrte, März 2020 (PRG) – Im Herbst 2018 wurden durch die Helma Eigenheimbau AG Deutschlands erste energieautarke Mehrfamilienhäuser an die Wohnungsbaugenossenschaft eG Wohnen 1902 in Cottbus übergeben. Im Stadtteil Sandow sind insgesamt 14 Wohneinheiten zwischen zwei bis fünf Zimmern entstanden. Das Besondere: Die Gebäude versorgen sich über großflächige Photovoltaik- und Solarthermiepaneele an Dach und Fassade selbst mit Strom und Wärme. Mieter profitieren von einer Inklusivmiete, die Strom und Wärme beinhaltet, in Höhe von 10,50 Euro/m². Die gefürchtete „zweite Miete“ über die Nebenkosten ist so ausgeschlossen. Uwe Emmerling, Vorstandsvorsitzender der eG Wohnen und André Müller, technischer Vorstand der Helma Eigenheimbau AG, ziehen eine erste Bilanz.

Herr Emmerling, die Messergebnisse des ersten Nutzungsjahres liegen vor – was haben Sie herausgefunden?

Emmerling: 2019 konnten fast 83 Prozent des Strom- und Wärmebedarfs durch beide Gebäude produziert werden, unser Ziel von 70 Prozent Deckungsquote haben wir also deutlich überschritten. Da nicht alle Wohnungen von Anfang an vermietet waren, wird 2020 sicher der Gradmesser, aber wir gehen eindeutig in die richtige Richtung. Besonders freuen mich die Ergebnisse der Mieterbefragung, die dem Konzept unserer Sonnenhäuser eine sehr hohe Akzeptanz bescheinigen. Unsere Mieter wohnen gern hier.

War das denn zu Beginn anders? Wie wurde das Konzept in Cottbus angenommen?

Emmerling: Cottbus bzw. die Region Südbrandenburg ist ein spezieller Markt. Bei unseren fast 10 000 Wohneinheiten verzeichnen wir aktuell eine Leerstandsquote von gut 13 Prozent. Mir ist bewusst, dass diese Situation für Deutschland nicht repräsentativ ist. Gleiches gilt für die Miethöhen. Mit unserer garantierten Pauschalmiete von 10,50 Euro/m² sind wir für unsere Region schon im gehobenen Bereich. Das Konzept Energieautarkie wurde sehr positiv aufgenommen. Trotzdem hat es mehrere Monate gebraucht, um eine Vollvermietung zu erreichen.

Herr Müller, Helma ist bundesweit als Anbieter von Einfamilienhäusern bzw. als Bauträger bekannt. Warum engagieren Sie sich auch als Generalübernehmer (GÜ)?

Müller: Wir sind bereits bundesweit Vorreiter beim energieautarken Einfamilienhaus. Bei der Umsetzung des Sonnenhaus-Konzepts verfügen wir somit über umfassende Erfahrungswerte. Diese sind das Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit unseres Autarkie-Teams mit Prof. Leukefeld und waren letztlich Teil der Konzeption für den mehrgeschossigen Wohnungsbau. Wir haben hier in Cottbus unsere Leistungsfähigkeit im Geschosswohnungsbau aus dem Bauträgerbereich als GÜ unter Beweis gestellt – beide Objekte wurden pünktlich, mängelfrei und im Kostenrahmen übergeben. Folgeaufträge, wie aktuell in Oranienburg bei Berlin und zahlreiche Anfragen aus dem ganzen Land zeigen, wir sind auf dem richtigen Weg.

Für wen eignet sich denn das Konzept besonders?

Müller: Besonders wirtschaftlich ist das Konzept im kleineren mehrgeschossigen Wohnungsbau, weil das Verhältnis von Energieeintrag und -nutzung optimal ist. Vier bis sechs Geschosse sind idealtypisch für den Mehrgeschossbau in Deutschland. Limitierender Faktor ist eigentlich nur das Grundstück, vor allem hinsichtlich Ausrichtung und Verschattung. Alle technischen Komponenten sind ausgereift und vielfach bewährt, gleiches gilt für die monolithische Bauweise aus hochwärmedämmendem Ziegelmauerwerk.

Emmerling: In unserem genossenschaftlichen Denken ist das gemeinschaftliche Wohnen tief verankert. Insofern gefällt es uns natürlich, dass Eigentümer und Nutzer von dem Konzept gleichermaßen profitieren. Aber auch für die Kollegen aus der Privatwirtschaft eignet es sich. Mietern bleibt die „zweite Miete“ erspart und die Eigentümer legen die Mehrkosten auf die Nutzer um.

Wie hoch sind die Mehrkosten aktuell?

Emmerling: Etwa 450 Euro je Quadratmeter im Vergleich zur konventionellen Bauweise. Dafür fühlen sich unsere Mieter nachweislich wohl und wir leisten einen aktiven Beitrag zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Mir ist wichtig zu betonen, dass wir das Projekt ohne Fördermittel realisiert haben. Das Konzept hat ab dem ersten Jahr einen positiven Cash-Flow und einen positives Jahresergebnis erzielt.

Müller: Der technische Fortschritt und die Preisentwicklung der letzten Jahre lassen vermuten, dass die anlagenbezogenen Mehrkosten tendenziell sinken. Sicher wird auch eine Rolle spielen, ob wir mit dem Konzept den Nischenmarkt verlassen können.

Gibt es neben den Kosten andere Hemmschwellen?

Müller: Technisch eigentlich nicht.

Emmerling: Wenn die Bundesregierung die Klimawende im Wohnbereich zum Erfolg führen will, muss die Frage des Mieterstroms geklärt werden. Bei meinen Kollegen in der kommunalen Wohnungswirtschaft gibt es diesbezüglich große Unsicherheiten, die dafür sorgen, dass man sich aktuell im Zweifel eher gegen das Konzept Energieautarkie entscheidet.

Würden Sie als eG Wohnen wieder energieautark bauen? Und was würden Sie ändern?

Emmerling: Uneingeschränkt - ja. Es gibt sogar schon konkrete Planungen für ein Objekt in der Cottbuser Innenstadt. Unsere Gedanken gehen dahin, die Wohnungen selbst zu „enttechnisieren“, das betrifft vor allem die Lüftungsanlagen. Angesichts der demographischen Struktur unserer Mieter werden wir auch bei drei Geschossen künftig einen Aufzug einplanen.

Müller: Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.

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