02/2020_AG_Die Zukunft des Bauens?

Foto: HELMA Eigenheimbau AG / Dajana Lothert

Lehrte, März 2020 (PRG) – Was vor einigen Jahren noch als Utopie galt, ist 2018 in Südbrandenburg Realität geworden. Im Cottbusser Stadtteil Sandow stehen Deutschlands erste energieautarke Mehrfamilienhäuser. Bauherr und Vermieter ist die Wohnungsbaugenossenschaft eG Wohnen 1902. Basierend auf dem Sonnenhaus-Konzept plante und realisierte die Helma Eigenheimbau AG als Generalunternehmer.

Die zwei markanten Viergeschosser in der Kahrener Straße wurden mit insgesamt 14 Wohneinheiten zwischen zwei und fünf Zimmern realisiert. Die Genossenschaftsmitglieder mieten zu einem fünfjährig garantierten Festpreis von 10,50 Euro pro Quadratmeter. Das Besondere - Strom und Heizung sind in unbegrenzter Nutzung bereits in die Miete inkludiert, ebenso wie ein PKW-Stellplatz.

(Fast) unabhängig vom öffentlichen Netz

Energieautarke Mehrfamilienhäuser decken ihren Strom- und Wärmebedarf zu großen Teilen durch Eigenproduktion. Photovoltaikmodule und Solarkollektoren werden großflächig an Dach und Fassade integriert, die Gebäude sind in Kubatur und Ausrichtung auf einen möglichst hohen Energieeintrag optimiert. Auffallend sind in Cottbus die Steildächer. Ein Neigungswinkel von 50 Grad ermöglicht ganzjährig hohe solare Einträge, vor allem in der Übergangszeit, wenn die Sonne nicht so hoch am Himmel steht. Die PV-Anlage ist auf eine Leistung von 29,58 Kilowatt Peak ausgelegt. Nicht genutzter Strom wird in zwei Lithium-Ionen-Akkus mit je 42,24 KWh Netto-Kapazität gespeichert bzw. ins öffentliche Netz eingespeist.

Komplettiert wird das System durch einen hochwärmegedämmten Langzeitspeicher mit fast 25.000 Liter Fassungsvermögen. Das Wasser im Schichtspeicher wird durch die von den Solarpaneelen produzierte Wärme erhitzt. Mittels Wärmetauscher wird Wasser zum Duschen, Heizen, Geschirrspülen oder Waschen erwärmt und ganzjährig genutzt.

Laut Sonnenhaus-Konzept gelten Gebäude als energieautark, wenn sie mehr als 50 Prozent ihrer benötigten Energie (Wärme und Strom) selbst produzieren. Der Energetische Kompass, nach Prof. Leukefeld, legte das Projekt in Abstimmung mit dem Bauherrn für einen Autarkiegrad von mindestens 70 Prozent aus. Der verbleibende Heizenergie-Bedarf wird über je einen Gasbrennwertkessel pro Haus erzeugt.

Als Hausbauunternehmen ist Helma im Einfamilienhaussektor der Vorreiter in der Autarkie-Bewegung. Gemeinsam mit Prof. Timo Leukefeld, TU Bergakademie Freiberg, realisierte man bereits im Jahr 2011 das erste energieautarke Einfamilienhaus. Seit dieser Zeit arbeitet ein hausinternes autarkie.team an weiteren Konzepten mit dem Ziel einer Realisierung im mehrgeschossigen Wohnungsbau.

Leukefeld ist sich sicher, dass energieautarke Gebäude den Wohnungsmarkt revolutionieren werden: „Sie beweisen, dass man Ökologie, Ökonomie, soziale Gerechtigkeit und Komfort sehr wohl miteinander verbinden kann. Wir brauchen bundesweit mehr solcher mutigen und klugen Konzepte, um die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern.“

Langlebige Gebäudehülle und hochwertige Ausstattung

Bauherr und Planer einte von Anfang an die Überzeugung, bei dem Projekt auf Qualität zu setzen. Besonderer Wert wurde auf eine langlebige und nachhaltige Gebäudehülle gelegt. Für die Außenwände kamen 42,5 cm starke mit Mineralwolle verfüllte Mauerziegel in monolithischer Bauweise zum Einsatz. Auch die Innenwände wurden in Ziegelbauweise ausgeführt. Das Ergebnis ist eine sehr gute Wärmedämmung mit einem U-Wert von 0,18 W/m2k, einer großen vorhandenen energetischen Speichermasse sowie die Erfüllung der Anforderungen an erhöhten Schallschutz nach DIN 4109.

Von großer Bedeutung für den Bauherren war der Aspekt Wohngesundheit: „Wir wollten ein angenehmes Innenraumklima. Davon profitieren unsere Bewohner immer, unabhängig vom Sonnenstand. Der Ziegel mit seiner Fähigkeit zu Feuchteausgleich und Temperaturregulierung eignet sich dafür ideal“, meint Uwe Emmerling, Vorstandvorsitzender der eG Wohnen Cottbus.

Das kompromisslose Bekenntnis zu Qualität findet sich auch im Inneren wieder. Alle Wohnungen verfügen über Fußbodenheizung, bodengleiche Duschen oder Badewannen sowie großzügige Balkone. Die beiden Maisonette-Wohnungen mit je 130 Quadratmeter Wohnfläche bieten zudem ein zweites Bad.

2019 – Ziel mehr als erreicht

Das Projekt in Cottbus wird drei Jahre lang messtechnisch durch die TU Bergakademie Freiberg begleitet. Inzwischen liegen die Ergebnisse für 2019 vor. Über das gesamte Jahr betrachtet wurde ein Autarkiegrad von 83 Prozent erreicht. Die beiden Gebäude produzierten zusammen 27.051,99 kWh Strom. Nur 41 Prozent (10.723,06 kWh) davon wurden als Eigenstrom benötigt, fast 60 Prozent (15.359,96 kWh) konnten an zwei Nachbargebäude abgegeben bzw. ins öffentliche Netz eingespeist werden. In den sonnenarmen Monaten November und Dezember wurde zusätzlich Strom aus dem kommunalen Netz bezogen.

Uwe Emmerling räumt ein, dass die Werte für 2019 als Zwischenstand betrachtet werden sollten. „Bis zur Vollvermietung hat es etwas gedauert, wir hatten also weniger Verbraucher insofern wird 2020 sicher aussagekräftiger, aber ich bin überzeugt, dass wir mit diesem eigentlich einfachen Konzept auf dem richtigen Weg sind. Schließlich haben wir nur bewährte Bausteine wie die monolithische Ziegelwand, den Solarspeicher und die Gas-Brennwerttechnik neu kombiniert.“

Mehrkosten, die sich rechnen

Im Vergleich zu konventionellen Bauvorhaben nahmen die Projektpartner in Cottbus Mehrkosten von etwa 450 Euro je Quadratmeter in Kauf. Uwe Emmerling ist überzeugt davon, dass dieses Geld gut angelegt ist: „Mittelfristig werden wir mit dem Konzept Einnahmen generieren, die Eigentümern und Mietern gleichermaßen zu Gute kommen. Damit lösen wir das Nutzer-Investor-Dilemma, dass bei jeder Modernisierung im Raum steht.“

Für André Müller, technischer Vorstand der Helma Eigenheimbau AG, bietet das Konzept energieautarke Mehrfamilienhäuser großes Potenzial: „Gebäude, die Strom und Wärme für die Bewohner produzieren, können einen wichtigen Beitrag zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit leisten. In Cottbus haben wir bewiesen, dass solche Projekte pünktlich, mängelfrei und im Kostenrahmen realisiert werden können. Wir sind optimistisch, bundesweit Nachfolgeprojekte initiieren zu können.“

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Das Sonnenhaus-Prinzip

Ein nach dem Sonnenhaus-Prinzip errichtetes Gebäude produziert mindestens 50 Prozent seines benötigten Energiebedarfs (Wärme und Strom) selbst.

Die wichtigsten Komponenten des Systems sind:

  • Kollektoren an Dach und Fassade (steil geneigtes Dach nach Süden, ≥ 50° Dachneigung)
  • Pufferspeicher (für Wärme und Strom)
  • Flächenheizungen (Wand- oder Fußboden)

Solarpaneele (Wärme) und Photovoltaik-Module (Strom) erzeugen die benötigte Energie. Der produzierte Strom wird in leistungsstarken Speichern (Lithium-Ionen-Akkus) geparkt. Von hier aus kann die Energie für das Gebäude abgerufen und E-Ladestationen betrieben werden. Überschüssiger Strom kann an das öffentliche Netz oder Nachbargebäude abgegeben werden.

Wärme, welche über die Solarpaneele erzeugt wurde, wird im Warmwasserspeicher (Wassertank mit 25.000 Liter Fassungsvermögen) gelagert. Der Speicher ist meist als Schichtspeicher angelegt, d.h. im oberen Teil ist es wärmer als unten, so dass immer Sonnenwärme aufgenommen werden kann - auch im Winter. Im Speicher sind Rohrleitungen und Wärmetauscher vorhanden, über die Nutzwärme entnommen wird. Es handelt sich dabei um einen geschlossenen Kreislauf, der unabhängig vom Wasser im Speicher ist. Es wird also nie direkt Wasser aus dem Puffertank entnommen. Die Nutzwärme dient zur Warmwasseraufbereitung und zum Betrieb der Flächenheizung.