03/2022 Circular Buildings Toolkit erleichtert die zirkuläre Projektplanung

Foto: Michel Buchmann

Berlin, den 2. März 2022 – Galt bislang die Einsparung von Energie als Maß aller Dinge für nachhaltige Gebäude, findet nun ein Umdenken und mit dem Green Deal, dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft und der Taxonomie seitens der EU auch ein Umlenken statt. Ressourceneffizienz erweitert den bis dato auf Energieeffizienz fokussierten Nachhaltigkeitsbegriff. Aus einem Weniger an Energie, Material und Abfall wird ein Mehr für die Umwelt. Die Weichen von der linearen in die zirkuläre Immobilienwirtschaft sind gestellt.

Fehlendes Know-how bremst Circular Real Estate

Die Ziele sind klar formuliert, der politische Rahmen ist gesteckt, die finanziellen Mittel stehen bereit – trotzdem gibt es bislang nur eine Handvoll Projekte, die nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft realisiert wurden. Der Grund für die zögerliche Umsetzung liegt in erster Linie an fehlendem Know-how. Im Rahmen der Studie „From Principles to Practises - First steps towards a circular built environment“ befragten wir Politiker, Investoren, Bauherren, Architekten, Bauunternehmer, Zulieferer sowie Nutzer von Wohn- und Gewerbeimmobilien. Das Ergebnis zeigte, dass die Bereitschaft zum Umstieg in die Kreislaufwirtschaft groß ist, es aber an Wissen fehlt, wie sich die Prinzipien der Circular Economy in der Praxis umsetzen lassen. Um vorhandene Wissenslücken zu schließen, haben wir gemeinsam mit der Ellen MacArthur Foundation ein Circular Buildings Toolkit entwickelt. Dabei wurden die Anforderungen der EU an kreislaufgerechte Gebäude in konkrete Handlungsempfehlungen für Designer und Planer übersetzt.

Zirkuläres Design soll Spaß machen

Das kostenlose Circular Buildings Toolkit richtet sich an Nutzer aller Erfahrungs-Levels. Einsteiger können sich mithilfe von Lehrmaterialien und Case Studies in das Thema einarbeiten, Erfahrene maßgeschneiderte Designstrategien für ihr zirkuläres Projekt entwickeln. Das Toolkit wurde auf den Workflow von Architekten und Planern zugeschnitten. Alle Module sind so konzipiert, dass sie sich nahtlos in den kreativen Designprozess einfügen. Uns war es sehr wichtig, kein langweiliges Nerd-Tool zu entwickeln. Die Benutzung soll Spaß machen und dazu anregen, Projekte unter zirkulären Aspekten neu zu denken.

EU-Taxonomie, EU-Levels, EU 9R Frameworks sowie die national geltenden Klimaschutzgesetze der Mitgliedsstaaten bilden den regulatorischen Überbau des Circular Buildings Toolkits. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden in regelmäßigen Abständen überprüft und an aktuelle Änderungen angepasst, sodass das Toolkit zu jedem Zeitpunkt eine zukunftssichere Planung von zirkulären Projekten ermöglicht. Die vom World Green Building Council definierten Prinzipien der Kreislaufwirtschaft wurden von einem interdisziplinären Experten-Team auf die Immobilienwirtschaft übertragen und daraus grundlegende Circular Building Design Strategien abgeleitet.

Zirkuläres Design mehrdimensional durchdenken

Das Circular Buildings Toolkit ist ideal, um zirkuläre Gebäude Schritt für Schritt zu planen. Vier Strategien und sechs Substrategien sind mit 68 konkreten Maßnahmen untersetzt. Die Strategien sind detailliert inklusive aller Vorteile und Herausforderungen beschrieben, mit einem Key Performance Indicator versehen und der jeweiligen Planungsphase zugeordnet. Jede Strategie ist mit konkreten Maßnahmen auf Konzeptions-, Konstruktions- und Materialebene untersetzt. Alle Maßnahmen sind mit passenden Tools und Referenz-Projekten verknüpft. 26 Tools vom Life-Cycle-Assessments über den Embodied Carbon Calculator bis zum Sustainability Performance Monitoring machen die Umweltauswirkungen der jeweiligen Entwurfsstrategie transparent. Ausgewählte Case Studies zeigen, welche beeindruckenden Gebäude mit zirkulärem Design möglich sind. Darunter auch der temporäre People’s Pavilion, ein zu 100 Prozent zirkuläres Gebäude, das vollständig aus recycelten Materialien hergestellt wurde. Ein kühnes Experiment und starkes Design-Statement für die Kreislaufwirtschaft, das 2017 im Rahmen der Design Week im niederländischen Eindhoven für viel öffentliche Aufmerksamkeit sorgte.

APAPT als zirkuläres Pilotprojekt

Das erste Projekt, das mit dem Circular Buildings Toolkit entworfen wurde, ist der Prototyp eines modularen, zirkulären Gebäudesystems. Nach den Vorstellungen des Kunden sollte das System multifunktional nutzbar, konfigurierbar, transportierbar und recycelbar sein. ADAPT ist hier Name und Programm zugleich, denn das Gebäudesystem lässt sich hinsichtlich der Größe, Materialien und Ausstattung individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Nutzer und den spezifischen Standort adaptieren. Mit seinen nutzungsoffenen Grundrissen bietet das System maximale Flexibilität. Ob Büro-, Wohn- oder Schulgebäude – alles ist möglich. Das Gebäudesystem lässt sich bedarfsgerecht aufstocken, erweitern, verkleinern oder umnutzen. Aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades wurden sämtliche Partner bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Entwurfsplanung einbezogen. Dadurch ist viel interdisziplinäres Wissen in das Projekt eingeflossen. Wie das Toolkit geholfen hat, dieses Know-how zu bündeln, strukturiert zu nutzen und die richtigen Design-Entscheidungen zu treffen, soll im Folgenden erläutert werden.

Maßgeschneiderte Zirkularität für jeden Layer

Den Auftakt bildete ein gemeinsamer Workshop mit den Projekt-Partnern. Mithilfe von Vorlagen und Strategiekarten wurden die Designstrategien definiert, Maßnahmen priorisiert und ein Circular Design-Ziel formuliert. Im Vergleich zu nicht zirkulären Gebäuden sollten mindestens 30 Prozent recycelte Materialen zum Einsatz kommen und damit bis zu 20 Prozent an CO2 eingespart werden. Zudem sollten, wo immer es möglich und sinnvoll ist, regenerative Baustoffe den Vorzug erhalten. Wie andere Gebäude auch bestehen die ADAPT-Module aus verschiedenen Layern mit unterschiedlichen Funktionen und Nutzungsdauern. Da das Tragwerk eine deutlich längere Lebensdauer hat als die Fassaden und Gebäudetechnik, wurden die einzelnen Schichten im Gebäudedesign voneinander getrennt und für jeden Layer eine individuelle Designlösung entwickelt, die eine maßgeschneiderte Zirkularität ermöglicht. Während bei der Konzeption des Tragwerks Adaptierbarkeit und Langlebigkeit im Vordergrund standen, wurden die Fassaden und Gebäudetechnik nach den Prinzipien des Recyclings und der Wiederverwertbarkeit konzipiert.

Adaptierbarkeit vermeidet Abriss

Obwohl sich durch eine Revitalisierung oder Konversion bestehender Gebäude zwischen 70 und 80 Prozent an Ressourcen und CO2 einsparen lassen, erleben wir immer wieder, dass besonders Gebäude aus den 70er und 80er Jahren abgerissen werden. Der Grund liegt in der zu geringen lichten Raumhöhe, die einer Umnutzung in einem wirtschaftlich vernünftigen Kostenrahmen entgegensteht. Aus der damaligen Logik, nach der geringere Raumhöhen mehr Geschosse und damit höhere Mieteinnahmen ermöglichen, resultieren heute gravierende Umweltkosten. Um derartige Fehlplanungen von vornherein auszuschließen, wurde für das ADAPT Tragwerk die Designstrategie der Adaptierbarkeit gewählt. Sie zielt darauf ab, das Anpassungspotenzial während der Nutzungsphase zu erhöhen und damit den Wert des Gebäudes möglichst langfristig zu erhalten. Etwaige Erweiterungsoptionen wurden bereits in der Planung vorausgedacht. Um horizontale Erweiterungen zu erleichtern, sind Fassaden und nicht tragende Wände so konzipiert, dass sie sich einfach demontieren lassen. Strukturelle Zulagen in der Tragwerkskonstruktion ermöglichen vertikale Erweiterungen in Form von zusätzlichen Stockwerken. Ein dreidimensionales Gebäudemodell sowie ein digitaler Materialpass liefern detaillierte Informationen über die verbauten Materialien und Verbindungsarten.

Langlebigkeit senkt Life Cycle Costs

Je länger ein Gebäude steht, desto nachhaltiger ist es. Es verbraucht über den gesamten Lebenszyklus betrachtet weniger Material, benötigt weniger Energie und erzeugt weniger Abfall. Die Strategie der Langlebigkeit sorgt somit über den gesamten Lebenszyklus für den maximalen Werterhalt der verbauten Ressourcen. Ein guter Indikator zur Bewertung des Werterhalts sind die Life Cycle Costs. Darunter versteht man die Summe aller Kosten, die ein Gebäude über den gesamten Lebenszyklus verursacht, abzüglich aller Erträge, die aus kreislaufbasierten Geschäftsmodellen resultieren. Das nach den Prinzipien der Langlebigkeit designte Gebäudesystem ADAPT ist eingebettet in ein zirkuläres Business-Modell, das die Skalierung vom Prototyp zur Serie beschleunigen soll. Statt die Gebäudemodule zu kaufen, bezahlen die Kunden für deren Nutzung. Das Produkt wird damit zum Service, der mit der Rückgabe der Module endet. Das Product as a Service-Modell reduziert den Ressourcenverbrauch und entlastet damit die Umwelt. Denn jedes Material, das wiederverwendet wird, muss nicht produziert werden und spart somit Rohstoffe, Energie und Treibhausgasemissionen ein. Das ist nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll, sondern ist angesichts immer knapper werdender natürlicher Ressourcen und explodierender Rohstoffpreise auch wirtschaftlich.

Rückbaufähigkeit maximiert Restwert

Mit 51,7 Milliarden Tonnen Material ist allein der Gebäudebestand in Deutschland ein gigantisches Rohstofflager. Bei konsequenter Wiederverwendung der verbauten Materialien würde der jährliche Bedarf an Rohstoffen deutlich sinken. Theoretisch – denn die meisten Baumaterialien sind nicht für eine spätere Wiederverwendung konzipiert. Sie lassen sich entweder gar nicht oder nur mit großem technischem Aufwand sortenrein trennen. Und so werden Jahr für Jahr 200 Millionen Tonnen wertvolle Rohstoffe als Bauschutt auf deutschen Mülldeponien entsorgt. Angesichts dieses brachliegenden Ressourcenpools ist die gesamte Wertschöpfungskette gefordert, ein neues Mindset zu entwickeln – weg von der Verschwendung hin zu zirkulärer Verwendung.

Um die Rückbaufähigkeit von Gebäuden zu erleichtern, empfiehlt es sich, alle Komponenten so zu konzipieren, dass sie sich sortenrein trennen und damit optimal wieder- oder weiterverwenden lassen. Bei ADAPT sorgen reversible Verbindungen zwischen den einzelnen Schichten dafür, dass Gebäudelayer mit geringerer Lebensdauer, wie z.B. die Fassaden und Gebäudetechnik, angepasst, wiederverwendet, repariert, renoviert oder unabhängig voneinander ersetzt werden können. Sämtliche Komponenten werden mithilfe eines As-Built-Models abgebildet und mit einer digitalen Materialdatenbank verbunden. Dieses digitale Kataster erleichtert die spätere Rückführung in den Wertstoffkreislauf – und macht jedes ADAPT-Modul zu einem Rohstoffdepot für die nächste Generation von Gebäudemodulen.

Nachwachsende Rohstoffe verkleinern CO2-Footprint

Sowohl beim Gebäudeenergiegesetz als auch bei der KfW-Förderung ist nach wie vor die Energieeffizienz das Maß aller Dinge. Betrachtet wird ausschließlich der Energieverbrauch während der Nutzungsphase, die im Gebäude verbaute graue Energie bleibt hingegen weitestgehend unberücksichtigt. So hat ein energieeffizienter Neubau nach KfW 55 Standard heute bereits so viel graue Energie im Gepäck, wie er in seiner 50-jährigen Nutzungsphase als Betriebsenergie verbrauchen wird. Wird die Energieversorgung wie geplant bis 2045 auf erneuerbare Energie umgestellt, liegt der Anteil der grauen Emissionen über den gesamten Gebäudelebenszyklus betrachtet sogar bei 80 Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass die grauen Emissionen ein entscheidender Hebel sind, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Durch den weitestgehenden Verzicht auf energieintensive Materialien wie Beton und die verstärkte Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen lässt sich ihr Anteil minimieren. Das modulare Gebäudesystem ADAPT wurde in Holzbauweise geplant. Aufgrund seiner CO2-Speicherfähigkeit und hervorragenden Ökobilanz passt der regenerative Baustoff optimal zum Kreislaufgedanken des Projekts.

Zirkularität eröffnet neue Business-Modelle

Im Zuge der Circular Economy sind bereits vielversprechende neue Geschäftsmodelle entstanden. So rettet das Brüsseler Unternehmen ROTOR Deconstruction Materialien und Bauteile aus abbruchreifen Gebäuden, bereitet sie auf und verkauft sie zu fairen Preisen über das Internet. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das deutsche Unternehmen Concular, das Neubauvorhaben in der Nähe von Abbruchgebäuden sucht und die dort verbauten Materialien für die Zweitnutzung vermittelt. Auf diese Weise werden wertvolle Ressourcen für die Wiederverwendung gewonnen und vor der Deponierung bewahrt. Hinter beiden Start-ups steckt die Idee der 1:1 Substituierung von Materialien. Jedes Material, das wiederverwendet wird, muss nicht produziert werden und spart somit Ressourcen und Treibhausgasemissionen ein. Neben diesen Beispielen werden sich aber auch völlig neue Business-Modelle entwickeln, wie Build-to-Rent oder Product-as-a-Service, bei denen Bauteile nicht mehr gekauft, sondern gemietet und am Ende des Lebenszyklus wieder an den Hersteller zurückgehen, der sie aufbereitet und anschließend weitervermietet.

Zirkularität rechnet sich

Keine Frage, zirkuläre Gebäude sind in der Planung anspruchsvoller und derzeit auch noch rund 20 Prozent teurer als lineare. Förderprogramme seitens der EU und der KfW gleichen diese Mehrkosten aus. Angesichts immer strengerer EU-Umweltstandards sowie steigender Material-, CO2- und Abrisskosten sind kreislauffähige Immobilien eine Zukunftsinvestition, die sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch auszahlt. Während konventionelle Immobilien am Ende des Lebenszyklus hohe Abrisskosten verursachen, sind die in zirkulären Gebäuden verbauten Baustoffe eine mittel- und langfristige Wertanlage. Sie stellen ein Rohstoffdepot dar, dessen Wert besonders in Zeiten von Rohstoffknappheit kontinuierlich steigt. Laut Prognosen der Unternehmensberatung Roland Berger eröffnet die Kreislaufwirtschaft der europäischen Immobilienwirtschaft bis 2025 Marktpotenziale in Höhe von 240 Milliarden Euro. Durch innovative Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich jährliche Wachstumsraten von bis zu 30 Prozent realisieren.

Politik als zirkulärer Vorreiter

Europa hat die Weichen in die zirkuläre Immobilienwirtschaft gestellt. Die Mitgliedsstaaten sind nun gefordert, den Umstieg von der linearen in eine zirkuläre Wirtschaft national umzusetzen. Und genau da fängt die eigentliche Arbeit an. Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist es, mit gutem Beispiel voranzugehen und ein Umfeld zu schaffen, das die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft erleichtert. Die Instrumente sind vielfältig und reichen von steuerlichen Anreizen, wie einer ermäßigten Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleistungen der Kreislaufwirtschaft bis zu jährlich steigenden Quoten für den Einsatz von Recyclingbaustoffen. Zudem könnte im öffentlichen Bereich verstärkt zirkulär gebaut werden. Bei einem jährlichen Bauvolumen von fast 40 Milliarden Euro würde dies ein starkes Signal in den Markt senden.