10/2021 Ventures Programm für innovative und nachhaltige Produktideen

Foto: Arup

Mit dem Green Deal und dem Circular Economy Action Plan hat die EU die Weichen in Richtung Kreislaufwirtschaft gestellt – und die Immobilienwirtschaft damit unter Zugzwang gesetzt. War bis vor Kurzem die Energieeffizienz das Maß aller Dinge rückt nun die Materialeffizienz stärker in den Fokus. Im Interview erläutert Dr.-Ing. Jan Wurm, Leiter Research & Innovation Europe bei Arup, warum an biobasierten Materialien kein Weg vorbeiführt, wieso Start-ups Treiber der Ressourcenwende sind und wie die Immobilienbranche von ihren innovativen Ideen profitieren kann.


Herr Dr. Wurm, warum werden bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden künftig die verbauten Materialien stärker in den Fokus rücken?

Dr. Jan Wurm: Seit 2021 müssen alle Neubauprojekte in der EU als Niedrigstenergiegebäude errichtet werden. Mit einem Gesamtenergiebedarf, der bei fast Null liegt, ist das Energieeinsparpotenzial hier nahezu ausgereizt. Ganz anders sieht es bei den verbauten Materialien aus, in denen sehr viel graue Energie steckt. Graue Energie bezeichnet die kumulierte Primärenergie, die für Rohstoffgewinnung, Herstellung, Transport, Wartung, Abriss und Entsorgung eines Gebäudes aufgewendet werden muss. So hat ein Bürogebäude, das nach den heutigen Standards für energieeffizientes Bauen geplant wird, über den gesamten Lebenszyklus betrachtet rund 50 Prozent graue Energie im Gepäck. Diese Zahl zeigt, dass ein Wandel vom ressourcenintensiven zum regenerativen Bauen dringend notwendig ist. Statt wie bisher in kurzfristigen Renditen muss in Zukunft viel stärker in langfristigen ökologischen und ökonomischen Mehrwerten gedacht werden.

Werden biobasierte Materialien klassische Baustoffe wie Beton perspektivisch ersetzen?

Dr. Jan Wurm: Ganz ohne klassische Baustoffe wird es auch in Zukunft nicht gehen. Allerdings werden sie sich in Richtung Kreislauffähigkeit verändern, so dass ein sortenreiner Rückbau möglich ist – und sie werden Konkurrenz von biobasierten Materialien erhalten. Die Weichen für die graue Energie eines Gebäudes werden bereits im architektonischen Entwurf gestellt. Mit kreislauffähigen Materialien lässt sich der CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren. Der stetig steigende Marktanteil des Holzbaus zeigt, dass bei Investitionsentscheidungen ein Umdenken in Richtung Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft stattgefunden hat. Wir müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass der Wald trotz Klimawandel und Holzeinschlag seine zentralen ökologischen Funktionen als CO2-Senke und Lebensraum vieler Pflanzen- und Tierarten weiter erfüllen kann. Deshalb ist es wichtig, auch andere Biomaterialien zu erforschen und zur Marktreife zu bringen.

Gemeinsam mit dem italienischen Biodesign-Unternehmen Mogu haben Sie vor Kurzem ein Akustik-System entwickelt, das aus Pilz-Myzelien besteht. Was ist das Besondere an dem System?

Dr. Jan Wurm: Während das Tragwerk von Gebäuden oftmals für eine Nutzungsdauer von 100 Jahren konzipiert wird, werden Innenräume durchschnittlich alle fünf Jahre erneuert. Aufgrund dieser kurzen Modernisierungszyklen ist der Innenausbau besonders CO2- und abfallintensiv – und somit ein wirksamer Hebel, um Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Zur Verbesserung der Raumakustik kommen bislang vielfach Polyesterschäume oder Verbundstoffe auf Mineralfaserbasis zum Einsatz. Diese Materialien, verursachen bei der Herstellung viel CO2 und werden am Ende des Lebenszyklus entweder deponiert oder thermisch verwertet. Mit dem Akustiksystem FORESTA steht nun eine biobasierte Alternative zur Verfügung, die als CO2-Speicher fungiert und damit den ökologischen Fußabdruck beim Innenausbau deutlich senkt.

Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Mogu gekommen?

Dr. Jan Wurm: Der Kontakt ist über unser Ventures-Programm zustande gekommen, das in die Entwicklung von nachhaltigen Produktideen bis hin zur Marktreife investiert. Um die Transformation der Immobilienwirtschaft zu beschleunigen, stellen wir ausgewählten Start-ups unser Know-how sowie unsere Netzwerke zur Verfügung und unterstützen sie bei der Entwicklung skalierbarer Lösungen, die in der Breite umsetzbar sind. Die jungen Unternehmen müssen allerdings auch zu uns passen. So wie Mogu, ein Start-up, das uns mit seiner starken Vision und Leidenschaft für biobasierte Materialien und seiner klaren Marktausrichtng beeindruckt hat. Was uns zusätzlich verbindet, ist unser Anspruch an gutes Design, höchste Qualität und technische Exzellenz. Das gemeinsam entwickelte Produkt FORESTA zeigt, dass durch die Zusammenarbeit zwischen etablierten und jungen, agilen Unternehmen neue Marktsegmente auf der Basis von Wertschöpfungsketten der zirkulären Bioökonomie erschlossen werden können. Aufgrund der von der EU geforderten und geförderten Transformation der Baubranche, werden wir unser Ventures Programm auf europäischer Ebene künftig noch stärker auf Produktentwicklungen im Bereich der Circular Economy fokussieren.

Was schätzen Start-ups an dem Ventures Programm von Arup?

Dr. Jan Wurm: Innovative Ideen haben es in der traditionell geprägten Baubranche prinzipiell schwerer als in anderen Wirtschaftsbereichen. Während Start-ups, die digitale Lösungen entwickeln, vergleichsweise gute Chancen auf eine Finanzierung haben, sieht das bei jungen Unternehmen, die die Produktionsprozesse von biobasierten Baumaterialien innovieren, ganz anders aus. Dieses Segment ist für die meisten Banken und Venture Capital Unternehmen Neuland. Hinzu kommt, dass für viele Start-ups der Zugang zu größeren Marktanteilen durch die fragmentierte Struktur der Industrie und die konservative Ausrichtung der Immbilienwirtschaft erschwert wird. Die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot wollen wir durch unser Ventures Programm schließen.