05/2021 Wie man CO2-Emissionen den Stecker zieht

Foto: Holger Meyer Architekten

Ein Plädoyer für die Elektrifizierung unserer Gebäude von Oliver Schwabe, Leiter Technische Gebäudeausrüstung bei Arup in Deutschland

Berlin, den 11. April 2022 – Vor drei Jahren traf ich mich auf einer Brache am Offenbacher Hafen mit den beiden Geschäftsführern eines renommierten Projektentwicklers. Es ging um ein neues Bürogebäude, das von Arup geplant werden sollte. Unsere Auftraggeber waren begeisterte Besitzer eines Tesla und eines Plug-in Hybrids. In der Kaffeepause unterhielten wir uns über die Zukunft der Mobilität. Die unmittelbare Nachbarschaft des Grundstücks zu einem Kohlekraftwerk gab den Anstoß, neu über die Energieversorgung des Bürokomplexes nachzudenken. Statt das Gebäude wie üblich ans Fernwärmenetz anzubinden, konnten wir unsere Kunden von einer CO2-neutralen Energieversorgung überzeugen. Wir planten ein Gebäude, das ähnlich wie ein Tesla vollständig elektrifiziert ist und komplett mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Automobilindustrie als Elektrifizierungsvorbild

Der Gebäudebereich ist einer der wenigen Sektoren, die ihre im Klimaschutzgesetz festgelegten Etappenziele regelmäßig verfehlen. 2021 wurden 115 Millionen Tonnen CO2 emittiert – 2 Millionen Tonnen mehr als erlaubt. Einsparpotenziale sieht das Bundesumweltministerium in nachhaltigen Bau- und Dämmstoffen, der Einbeziehung des gesamten Lebenszyklus von Baumaterialien in die Bauplanung sowie bei Klima- und Lüftungsanlagen. Das sind prinzipiell richtige Ansätze, allerdings bezweifle ich, dass das reicht. Ohne ein Umdenken wird der Gebäudesektor seine Ziele auch weiterhin verfehlen.

Warum also nehmen wir uns die Autoindustrie nicht zum Vorbild und rüsten die bebaute Umwelt auf Elektrobetrieb um? Mit wenigen Ausnahmen speisen alle erneuerbaren Energiequellen (Wind, Solar und Wasser) direkt ins Stromnetz ein. Ein vollständig elektrifiziertes Gebäude kann also schon heute zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Aus meiner Sicht könnte das der Game Changer sein, der das CO2 Emissionsproblem im Gebäudebereich nachhaltig löst.

Selbstverständlich funktioniert das Szenario nur, wenn erneuerbare Energien und Stromnetze massiv ausgebaut werden. McKinsey beziffert die EU-weiten Investitionen auf 90 bis 110 Milliarden pro Jahr. Aktuell fließen 55 Milliarden Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien und 30 Milliarden in die Stromnetze. Macht unterm Strich 85 Milliarden Euro. Mit Mehrinvestitionen in Höhe 5 bis 25 Milliarden Euro ließe sich somit ein riesiger Mehrwert für die Umwelt erzielen.

Transformation braucht Kooperation

Die öffentliche Diskussion dreht sich oft nur um Neubauten, die pro Jahr nur ca. 2 Prozent aller Immobilien ausmachen. Ohne eine Dekarbonisierung des Bestandes lassen sich die Klimaziele im Gebäudebereich allerdings nicht erreichen. Eine grüne Elektrifizierung ist ebenfalls in Altbauten möglich. Unter der Prämisse, dass unsere gesamte Energieversorgung in Zukunft aus regenerativen Quellen kommen wird, wäre sogar ein Verzicht auf Maximaldämmung für historische und denkmalgeschützte Gebäude vertretbar.

Schon heute lassen sich Beleuchtung, Belüftung und Kühlung in allen Bestands- und Neubauten problemlos auf grünen Strom umstellen. Der Strombedarf einer typischen modernen Büroimmobilie inklusive Geräte (PC, Drucker etc.) macht rund 80 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus. Der Rest ist Heizenergie, die klimaneutral mit Wärmepumpen erzeugt werden kann. Bei Wohngebäuden ist der Anteil an Heizenergie deutlich größer, aber auch hier ist die vollständige Elektrifizierung technisch sehr einfach möglich. Warum wird es dann nicht gemacht? Es gibt viel Kreativität und Innovationspotenzial bei Architekten und Planern. Allerdings wird die Transformation zu einem CO2-neutralen Gebäudebestand nur gelingen, wenn Architekten, Planer und Bauherren an einem Strang ziehen. Mit einem kooperativen Mindset lassen sich innovative Ideen und kommerzielle Erwartungen durchaus miteinander in Einklang bringen.

Klimaneutralität ohne Komfortverzicht

Viele Planer sehen die Lösung der CO2-Problematik in passivem Gebäude-Design mit möglichst wenig aktiven Systemen. Die Kollegen haben recht, je weniger Gebäudetechnik, desto geringer der Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen. Weniger Technik bedeutet aber eben auch weniger Komfort. Der moderne Mensch ist in dieser Hinsicht verwöhnt. Wer möchte im Auto auf seine Klimaanlage verzichten und das Fenster mit der Hand runterkurbeln? Ich halte das Konzept des rein passiven Designs nicht für massentauglich. Zumal bei Passivbauweisen massive Baustoffe mit einem hohen Anteil an grauer Energie zum Einsatz kommen. Mit regenerativen Energien betriebene moderne Gebäudetechnik ist für mich die überzeugendere Lösung. Weil sie CO2-Neutralität mit hohem Gebäudekomfort kombiniert. Selbstverständlich muss die Gebäudetechnik gut geplant sein. Sie muss zum Wärme- und Kälteversorgungssystem passen, so effizient wie möglich sein und sich bedarfsgerecht steuern lassen.

Bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Gebäudebetrieb geht es nicht nur darum, wie viel Energie insgesamt verbraucht wird, sondern auch wann sie verbraucht wird. Aktive Nachfragesteuerung verlagert die Energienachfrage weg von den Spitzenlasten und ermöglicht es den Gebäudebetreibern, die erneuerbaren Energien optimal zu nutzen. Von automatischem Lastabwurf bis zu Batterietechnologien gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, den Energieverbrauch bedarfsgerecht zu steuern, den CO2-Ausstoß zu minimieren und darüber hinaus von geringeren Energiekosten zu profitieren.

Verbraucher als Innovationsbeschleuniger

Von Verfechtern des passiven Designs kommt immer wieder der Einwand, dass bei der Planung von Gebäudetechnik ein Ideal-Nutzungsszenario zugrunde gelegt wird, das in der Realität nie erreicht wird, weil sich der Nutzer eben nicht ideal verhält. Keine Frage, die Nutzer müssen ihren Teil dazu beitragen. Auch Smart Buildings sind nur so smart wie der Mensch, der sie bedient. Aus unserer Erfahrung ist der Nutzer lernfähig, wenn er die Auswirkungen seines Verhaltens direkt zurückgespielt bekommt. Der Blick auf den eigenen Verbrauch ist vielfach effizienter als jede zusätzliche Dämmung und kann den Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent senken.

Nun stellt sich die berechtigte Frage, woher der grüne Strom für die Elektrifizierung des Gebäudebestands eigentlich herkommen soll. Angesichts eines Anteils von 51 Prozent erneuerbarer Energien haben wir zwar schon einiges erreicht, aber immer viel vor uns, bis eine vollständige regenerative Stromversorgung erreicht ist. Ich setze auf die Kraft des Marktes. Je mehr Eigentümer und Mieter sich für grünen Strom entscheiden, desto schneller wird der Ausbau vorangetrieben. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Jeder einzelne von uns hat es in der Hand, bei der Energiewende aufs Tempo zu drücken.

Der Tesla unter den Bürogebäuden ist mittlerweile Realität geworden. Das LEIQ am Offenbacher Hafen wird nach seiner Fertigstellung 2023 das erste CO2-neutral betriebene Bürogebäude im Rhein-Main-Gebiet sein. Das Energiekonzept basiert auf einer Luft-Wärme-Pumpe, die die in der Umgebungsluft vorhandene Wärmeenergie bedarfsgerecht in Heiz- und Kühlungsenergie umwandelt. Das Projekt beweist zudem, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sein müssen: Einsparungen von 500 Tonnen CO2 im jährlichen Gebäudebetrieb sowie 20 Prozent geringere Investitions- und Betriebskosten sind überzeugende Argumente für die Elektrifizierung des Gebäudebestands.